4. Analyse der Filmmusik
zu „Wölfe in B.“

von Thomas Seher

In der Analyse werde ich das eigene Funktionsmodell am Film „Wölfe in B.“ anwenden. Der Diplomfilm wurde vom Studenten Jonas Projer an der Zürcher Hochschule der Künste im Jahr 2007 produziert.

Darin geht es um ein Schweizer Dorf, in dem sich die islamische Extremistengruppe „Graue Wölfe“ auszubreiten scheint. Wandschmierereien, Freitagsgebete und vollgeparkte Straßen sind Grund genug für den Grundschullehrer „Remo Farner“ eine Bürgerwehr ins Leben zu rufen, die ein Zeichen gegen die schleichende Islamisierung setzen soll.

4.1 Vorgehensweise

In der tabellarischen Darstellung werden nur solche Szenen analysiert, in denen Musik vorkommt. Hier sind es dreizehn Einsätze, die auf der Mikro- , Makro- und Metaebene beschrieben werden. Die Darstellung ist folgendermaßen:

Szenenbild: Schnappschuss der beschriebenen Szene
Szenenname: Titel der Szene
Cue in: Beginn des hörbaren Musikeinsatzes
Cue out: Ende des hörbaren Musikeinsatzes
Dauer: Länge der Musik
Mischpult: Gewichtung der Bedeutung auf den drei Ebenen (Schätzwert!)

Alle Längenangaben werden wie folgt dargestellt: Stunden: Minuten: Sekunden (z.B. 00:08:22). Die konkreten Bezeichnungen der Funktionen werden zusammenfassend hinter die Erläuterungen zu den Musikeinsätzen als Stichworte in Klammern geschrieben.

Es wird darauf hingewiesen, dass aufgrund der Mehrdimensionalität der Filmmusik, nicht jede Funktion beleuchtet werden kann, sondern nur solche, die meiner Meinung nach, in der jeweiligen Szene für den Film relevant sind. Jede Musik ist strukturierend, weil sie einen Anfang und ein Ende hat; und jede Musik bekommt auch eine Bedeutung, sofern sie im Zusammenhang mit Bildern auftritt. Deshalb werden im Sinne der Überschaubarkeit nur prägnante Funktionen dargestellt.

4.2 Analyse

Szenenname: Intro
Cue In: 00:00:39
Cue Out: 00:01:16
Dauer: 00:00:37

Beschreibung:
Der Hauptdarsteller „Remo“ geht durch die Straßen seines Heimatdorfes und entdeckt ein auf die Wand gesprühtes Motiv der „Grauen Wölfe“. Darauf hin setzt der Muezzingesang und das Hauptmotiv ein. In der nächsten Sequenz sieht man einen Jungen mit Schürfwunden mit seinem Fahrrad die Straße entlang laufen.

Mikroebene:
Das Hauptmotiv wird hier das erste Mal vorgestellt. Der Muezzingesang setzt ein, wenn das Graffiti zu sehen ist. Dadurch wird die Aufmerksamkeit auf das Motiv gelenkt (Akzente setzen, Aufmerksamkeit auf bestimmte Bildinhalte lenken). Der Muezzingesang dient außerdem als Übergang von der Sequenz von Remo zur Sequenz mit dem Jungen (Schnitte kaschieren).

Die Musik verbindet zudem die beiden Anfangssequenzen (Bilder zu einer Sinneinheit zusammenfassen). Symbole des Islam werden in Form des Muezzingesangs integriert (Klischees aufgreifen), dadurch soll das Setting verdeutlicht werden. Es vermischen sich zwei Kulturen miteinander, nämlich: Christentum mit dem Islam (Ort charakterisieren/historische Zeit verdeutlichen).

Makroebene:
Die Anfangssequenzen dienen in erster Linie dazu, den Zuschauer in die düstere, bedrohliche Grundstimmung des Films einzustimmen und die Sensibilität auf das Thema Islam zu lenken (reale Stimmungen/Emotionen auslösen). Zwei Protagonisten werden durch das Intro vorgestellt und durch Musik miteinander in Beziehung gebracht, ohne weitere Details zu erfahren (Erkenntnisgewinn ermöglichen).

Metaebene:
Die Verwendung von Leitmotiven ist eine konventionelle Methode, um Personen, Szenen, Stimmungen mit Musik zu assoziieren. Damit werden künstlerische Konventionen bestätigt (musikästhetischen Regeln folgen). Außerdem wird durch Musik der Film als Medium zur Abgrenzung vom Alltag unterstrichen (Abgrenzung von der Realität).

Szenenname: Restaurant
Cue In: 00:01:17
Cue Out: 00:01:56
Dauer: 00:00:37

Beschreibung:
Im Restaurant läuft leise im Hintergrund ein Popsong der Gruppe „Noah Finn“.

Mikroebene:
Das Setting einer Kneipe wird durch den Song unterstützt (Verdeutlichung von Ort).

Makroebene:
Durch den Kontrast zwischen der von der Musik unterstützten Fröhlichkeit am Stammtisch und den teils rassistischen Inhalten der Dialoge zwischen den Protagonisten, wird ein Gegensatz erzeugt, der auf den Zuschauer distanzierend wirken soll (gewünschte Sichtweisen des Regisseurs suggerieren, Stimmungen/Emotionen erzeugen).

Metaebene:
Im Falle einer Vermarktung des Filmsoundtracks, würde der Song auf einem Sampler veröffentlicht werden (zur Vermarktung des Soundtracks beitragen, musikalischen Zeitgeist integrieren).

Szenenname: Erste Pläne
Cue In: 00:01:58
Cue Out: 00:02:48
Dauer: 00:00:50

Beschreibung:
Die drei Protagonisten gehen zum islamischen Zentrum im Dorf und beschließen sich gegen die Muslime ihres Dorfes zur Wehr zu setzten.

Mikroebene:
Musik soll die Spannung dieser Szene nachzeichnen (Abbildung von Stimmungen). Sie soll nicht mit den Dialogen konkurrieren, damit diese verständlich bleiben, deshalb wird bei dieser Sequenz auf aufdringliche Melodien verzichtet (Filmmusik soll hier nicht gehört werden!).

Durch den Muezzingesang wird der Ort des islamischen Zentrums charakterisiert (Verdeutlichung von Ort). Am Ende sollen synthetische Flächen den Schnitt in die darauf folgende Szene erleichtern (Schnitte kaschieren). Außerdem: Musik hält die gesamte Szene zusammen (Bilder zu einer Sinneinheit zusammenfassen).

Makroebene:
Durch die Wiederholung des Muezzingesangs, soll der Zuschauer das islamische Zentrum mit dem anfangs gezeigten Graffiti in Verbindung setzen (Bezüge zu anderen Szenen herstellen). Die tiefen Töne und das Harfenostinato sollen zudem die düstere Stimmung aufs Publikum übertragen (reale Stimmungen/Emotionen) erzeugen). Der Zuschauer soll hier bereits ahnen, dass etwas Schlimmes passieren wird (Erkenntnisgewinn ermöglichen).

Metaebene:
Musik greift auf bereits vor dem Film erlernte Symbole zurück: z.B. Muezzingesang als Symbol für den Islam. Das gleiche gilt für die Darstellung von Angst durch Dissonanz, schnelle Rhythmik und tiefe Töne (Hörgewohnheiten entsprechen, musikästhetischen Konzepten folgen).

Szenenname: Vorbereitung
Cue In: 00:03:14
Cue Out: 00:03:50
Dauer: 00:00:36

Beschreibung:
Am Stammtisch wird über weitere Graffitis im Dorf diskutiert, woraufhin eine Bürgerwehr ins Leben gerufen wird.

Mikroebene:
Die Musik gestaltet durch tiefe, vibrierende Töne eine ernste Stimmung (Abbildung von Stimmungen). Durch unauffällige Flächen wird die Aufmerksamkeit auf die Unterhaltung der Protagonisten gelenkt.

Makroebene:
Musikalische Parameter wie unregelmäßiger Rhythmus, tiefe Lage der Töne, Unbestimmtheit der Klangquelle sollen körperliche und emotionale Reaktionen auslösen wie Unbehagen und Misstrauen. (reale Stimmungen/Emotionen erzeugen).

Für den weiteren Verlauf der Geschichte, war es dem Regisseur wichtig, die Protagonisten gefährlich wirken zu lassen, so dass Handlungen im Sinne der Dramaturgie hervorgehoben werden können. Aus diesem Grund wurde die Stammtischrunde mit dissonanten Klängen unterlegt (vom Regisseur gewünschte Sichtweisen suggerieren).

Metaebene:
Musik charakterisiert nicht nur die konkrete Gefahr im Film „Wölfe in B.“, sondern auch die Gefahr im Allgemeinen. Sie spielt mit der Vorstellung einer Bedrohung, die der Zuschauer als Voraussetzung benötigt um die Filmhandlung zu verstehen (Hörgewohnheiten entsprechen).

Szenenname: Patrouille1
Cue In: 00:04:02
Cue Out: 00:06:01
Dauer: 00:01:59

Beschreibung:
Die drei Protagonisten brechen zu ihrer ersten Patrouille im Dorf auf.

Mikroebene:
Die Funktion der Patrouillenszene hängt im Wesentlichen von der Funktion der Musik ab. Sie illustriert die Schritte und die innere Einstellung der Protagonisten und hebt dadurch ihren heroischen, selbstbewussten Charakter hervor (Illustration, Stimmungen/Charaktereigenschaften abbilden).

Die Patrouille dauert ca. zwei Minuten und enthält verschiedene Kamerafahrten, die von einem Dialog unterbrochen werden, bevor die drei Protagonisten zur Moschee gehen. Die Musik verbindet die verschiedenen Sequenzen zu einer Sinneinheit. Während des Dialoges hat die Musik die Aufgabe unauffällig zu sein, ohne jedoch die musikalische Klammer aufzulösen.

Makroebene:
Musik hilft dabei, den drei Protagonisten eine höhere Bedeutung zu geben. Die Charakterisierung der Patrouille durch Musik führt dazu, dass sich der Zuschauer mit den Protagonisten identifiziert oder von ihnen distanziert (Verständnis der Filmhandlung, Identifikation mit Figuren ermöglichen).

Metaebene:
Um ein musikalisches Hauptthema zu etablieren, werden allgemeine musikästhetische Bedingungen eingehalten wie: klar erkennbare Melodie, musikalische Frage und Antwort, Harmonielehre etc. (Hörgewohnheiten entsprechen).

Szenenname: Familie1
Cue In: 00:06:21
Cue Out: 00:06:55
Dauer: 00:00:34

Beschreibung:
Remo kehrt zu seiner Familie zurück und begrüßt seine Frau. Erste Spannungen zwischen beiden werden deutlich. Im Hintergrund ist leise die Melodie eines Kinderspielzeugs zu hören.

Mikroebene:
Es wird der familiäre, häusliche Rahmen durch die Spielzeugmelodie charakterisiert. Sie erweitert das Bild durch akustische Details (Verdeutlichung von Orten).

Makroebene:
Der Wechsel von Öffentlichem zum Privatem, von der Patrouille zur Familie wird durch Musik unterstützt und kann dadurch für den Zuschauer besser nachvollzogen werden. Eine klare Unterscheidung zwischen den Handlungssträngen ist dadurch gewährleistet (Verständnis der Filmhandlung ermöglichen).

Metaebene:
Erwartungen der Zuschauer von Spannung und Entspannung werden erfüllt, indem die gesamte Szene und die Musik eine Zäsur schafft, welche Erholung von den spannungsgeladenen Momenten bietet (Hörgewohnheiten entsprechen).

Szenenname: Patrouille 2
Cue In: 00:06:56
Cue Out: 00:07:36
Dauer: 00:00:40

Beschreibung:
Die Anhängerschaft der Patrouille wächst. Mit Informationsblättern unterrichten die Protagonisten weitere Dorfbewohner, um diese für die Bürgerwehr zu gewinnen.

Mikroebene:
Die Musik setzt in der vorigen Szene ein, um den harten Schnitt zur verdecken (Schnitte kaschieren). Durch einen anschwellenden Streicherakkord am Ende der Szene leitet die Musik die Kampfszene ein (Akzente setzen). Erst als die Männer im Bild zu sehen sind, setzt wiederholt das Hauptthema ein, um ihre selbstbewusste Haltung zu unterstreichen (Illustration, Abbildung von Stimmung).

Makroebene:
Da diese Szene keine wichtigen Dialoge enthält, hat die Musik Platz zur Emotionalisierung, indem sie die Gefahr hörbar und spürbar macht (reale Stimmungen/Emotionen auslösen).

Durch die Wiederholung des Hauptthemas soll ein Bezug zum bekannten Hauptthema der ersten Patrouille hergestellt werden, um einzelne Handlungsstränge (z.B. Patrouillen- und Familienszenen) klar von einander zu unterscheiden (Verständnis der Filmhandlung ermöglichen, Bezüge zu anderen Szenen herstellen).

Metaebene:
Durch Wiederholung von Melodie und der Instrumentation, wird die Patrouillenmusik als Hauptthema etabliert (musikästhetischen Regeln folgen).

Szenenname: Kampf
Cue In: 00:06:36
Cue Out: 00:09:19
Dauer: 00:02:43

Beschreibung:
In der zweiten Nacht stößt die Patrouille auf zwei albanische Muslime, die aus der Moschee kommen. Nach einem Schlagabtausch kommt es zu Handgreiflichkeiten zwischen beiden Gruppen. Die Musik setzt ein, als einer der Patrouillierenden eine Pistole zieht.

Mikroebene:
Die musikalische Zäsur am Anfang der Szene kontrastiert die spannungsgeladene Musik, welche im Anschluss daran ertönt. Musik unterstützt den schneller werdenden Schnittrhythmus der Szene indem Tempo und Lautstärke der Musik ebenfalls zunehmen (Illustration und Abbildung von Stimmungen/Emotionen). Beim Kameraschwenk zur Waffe erklingt ein Akzent, der die Aufmerksamkeit für einen Moment auf die erhöhte Gefahr hinweisen soll, die von der Patrouille ausgeht (Aufmerksamkeit auf bestimmte Bildinhalte lenken).

Makroebene:
Durch musikalische Parameter wie Klangfarbe, Rhythmus, Geschwindigkeit, und Lautstärke sollen beim Publikum reale physische und psychische Reaktionen erzeugen wie: erhöhter Pulsschlag, Ausschüttung von Adrenalin, Unbehagen (Erzeugung von realen Gefühlen und Stimmungen). Die Erzeugung von Spannung ist in dieser Szene wichtig, da sie die Gefahr verdeutlicht, die von der Patrouille und von den Muslimen ausgehen kann.

Für die Dramaturgie des Films ist diese Szene relevant, da durch die gefährlich wirkenden, streitsüchtigen Albaner, die Gründung der Patrouille dramaturgisch gerechtfertigt wird. Die Musik erzeugt, zusammen mit anderen filmischen Ebenen, das Bild des 'gefährlichen Muslims' – auch wenn sich dieses Bild am Ende des Films nicht bewahrheitet.

Für den Aufbau der Geschichte ist es entscheidend, dass Musik den Zuschauer auf eine 'falsche Fährte' lockt, damit das Ende des Films eine große Überraschung darstellt (Identifikation mit Figuren ermöglichen, vom Regisseur gewünschte Sichtweisen suggerieren, Verständnis der Filmhandlung ermöglichen).

Metaebene:
Der Aufbau von Gefahr, die zunehmende Involvierung des Protagonisten in das Filmgeschehen, sowie das Legen von 'falschen Fährten' sind genrespezfische Indizien für den Thriller, zu dem „Wölfe in B.“ zählt. Die Musik steht im Dienst dieses Genres und erfüllt somit dessen Bedingungen (genrespezifische Konventionen erfüllen).

Szenenname: Klassenzimmer
Cue In: 00:10:43
Cue Out: 00:11:20
Dauer: 00:00:37

Beschreibung:
Remo ärgert sich über das an die Tafel gezeichnete Motiv der „Grauen Wölfe“. Die Musik besteht aus einem dezenten Klangteppich mit tiefen Tönen und einem Harfenostinato.

Mikroebene:
Die Musik bildet eine bedrohliche Stimmung im Klassenzimmer ab. Gleichzeitig verleiht die Musik dem emotionalen Innenleben von Remo Ausdruck (Stimmungen/Emotionen abbilden).

Makroebene:
Absicht des Regisseurs ist es, die sich anbahnende Katastrophe (am Ende des Films) durch Musik anzukündigen. Spannung und Unbehagen werden durch tiefe, pulsierende, schrille Sounds dargestellt (reale Stimmungen/Emotionen erzeugen) und sollen die Zuschauer spüren lassen, dass ein tragisches Ende zu erwarten ist (vom Regisseur gewünschte Sichtweisen suggerieren).

Metaebene:
Der Aufbau eines langen Spannungsbogens, wird durch die Musik unterstützt. Damit werden zwei Bedingungen erfüllt: Erstens: der Film wird dadurch interessant, weil er Raum für Spekulationen gibt (künstlerischen Wert/Erfolg des Films steigern) und zweitens werden genrespezifische Konventionen bestätigt.

Szenenname: Bergpredigt
Cue In: 00:11:31
Cue Out: 00:12:09
Dauer: 00:00:38

Beschreibung:
Die familiären Spannungen zwischen Remo und seiner Frau werden bei einem Spaziergang thematisiert. Sie äußert ihre Zweifel gegenüber der Patrouille und bemängelt die fehlende Zuwendung ihres Mannes.

Mikroebene:
Die triste, melancholische Stimmung des Monologs und Ortes wird durch die Harfenbegleitung gedoppelt (Abbildung von Stimmung, Illustration). Während Remos Frau spricht, spiegelt die Musik gleichzeitig ihr emotionales Innenleben, so dass die Aufmerksamkeit des Zuschauers auf sie gerichtet wird (Illustration, Stimmungen/Emotionen abbilden, Aufmerksamkeit auf bestimmte Bildinhalte lenken).

Makroebene:
Um eine möglichst effektive Dramaturgie zu gestalten, sind nach Angaben des Regisseurs Jonas Projer zwei polarisierende Aspekte wichtig: Die Spannung zwischen Remos privaten und öffentlichen Leben – von Familie und Patrouille.

Deshalb ist es in dieser Szene wichtig, das emotionale Innenleben von Remos Frau musikalisch darzustellen (und nicht Remos), um die Bedeutung der familiären Situation zu verstärken und damit ein Gegengewicht zur Patrouille zu schaffen (Identifikation mit Figuren ermöglichen, verschiedene Handlungsstränge unterscheidbar machen, Bezüge zu anderen Szenen herstellen).

Metaebene:
Die Musik schafft durch die wiederholte Verwendung des Hauptthemas und der Instrumentation (Harfe) eine Einheit, welche für das Verständnis der Geschichte zwar weniger notwendig, aber aus musikästhetischen Gründen Sinn machen (musikästhetische Regeln befolgen, Hörgewohnheiten entsprechen).

Szenenname: Patrouille 3
Cue In: 00:12:11
Cue Out: 00:14:41
Dauer: 00:02:30

Beschreibung:
Die Arbeit der Patrouille ist auf ihrem Höhepunkt angekommen. Duzende Männer versammeln sich auf dem Kirchplatz, um anschließend durch das Dorf zu marschieren. Remo beginnt seine zunehmenden Zweifel an der Bürgerwehr zu äußern und wird am Ende zurück gelassen.

Mikroebene:
Der Schnitt von der Bergszene zur Patrouillenszene wird durch die „zu früh“ einsetzenden Perkussion geglättet (Schnitt kaschieren). Die gesamte Szene ist in drei Abschnitte unterteilt: (1) Sammeln auf dem Kirchplatz, (2) Marschieren durchs Tor, (3) Remos Zweifel. Diese Unterteilung ist auch in der Musik zu finden (Bilder zu Sinneinheiten zusammenfassen). Als Remo in die Menschenmasse schaut, ändert sich die Musik.

Anstatt des Hauptmotivs erklingen Harfen und ein ruhiger Rhythmus, der den Blick des Zuschauers auf den Jungen im Bild „drängt“ (Aufmerksamkeit auf bestimmte Bildinhalte lenken). Das Hauptthema und die Instrumentation unterstützen das Selbstbewusstsein der Patrouille, vor allem in dem Moment, als die Patrouille durch das Stadttor marschiert (Stimmungen/Emotionen abbilden).

Hier verdeutlichen Lautstärke, Instrumentation und Melodie den Höhepunkt (Illustration). In dem Moment, als Remo auf der Straße stehen gelassen wird, zeichnet die Musik diesen Zustand durch abklingende Sounds, verringerte Instrumentation und fehlende Melodien nach (Illustration).

Makroebene:
Perkussion, Streicher und Melodien werden zum dritten Mal verwendet. Der Zuschauer kann durch die Wiederholung Bezüge zu bekannten Motiven und Szenen herstellen und somit den Kontext der Patrouille erschließen ohne deren Grundlage, Entstehung, etc. erneut erläutern zu müssen (Verständnis der Filmhandlung, Bezüge zu anderen Szenen herstellen).

Für die Entwicklung der Dramaturgie ist die Hervorhebung des Jungen wichtig, da er in der letzten Szene des Films eine entscheidende Rolle spielt. Musik betont den Jungen und gibt ihm mehr Bedeutung. (vom Regisseur gewünschte Sichtweisen suggerieren).

Metaebene:
Anfangs gibt es keine Dialoge, so dass die Szene rein visuell und musikalisch gestaltet werden kann, wodurch der Komponist ermutigt ist, seine künstlerischen Bemühungen für diese Schlüsselszenen zu verwenden, um damit den Wert des Films und des Soundtracks zu steigern. (Musikalität des Komponisten repräsentieren, zum Gesamtkunstwerk des Films beitragen, zur Vermarktung des Films und Soundtracks beitragen).

Szenenname: Überfall
Cue In: 00:14:41
Cue Out: 00:16:18
Dauer: 00:02:37

Beschreibung:
Die Katastrophe ereignet sich in Remos Haus, als nachts zwei Männer in seiner Wohnung das Zeichen der „Grauen Wölfe“ an eine Wand sprühen. Mit einer Waffe überrascht er die Eindringlinge und tötet einen der beiden Männer durch einen Schuss. Am Ende nimmt Remo die Maske des Toten ab und erkennt, dass es sich um einen seiner Schüler handelt.

Mikroebene:
Die Szene kann ebenfalls in drei Abschnitte unterteilt werden: (1) Heimkehr, (2) Spannungssteigerung, (3) Höhepunkt bis zur Lösung. Die Musik gliedert diese Sequenzen durch verschiedene Motive und Klangfarben und fasst sie zu einer Einheit zusammen (Bilder zu einer Sinneinheit zusammenfassen). Die Heimkehr Remos wird mit einer sanften, harmonischen Harfenmusik untermalt.

Der familiäre Kontext soll verstärkt werden und eine friedliche Stimmung erzeugen (Verdeutlichung von Ort, Stimmung/Emotion abbilden). Rhythmus, Tempo und Harmonie verdoppeln den sich steigernden Schnittrhythmus der Bilder (Illustration). Nach dem Schuss fehlen Rhythmus und Melodie, so dass die Spannung allein durch tiefe, dissonante synthetische Sounds gehalten wird. Diese lautlose Situation enthält einen großen Spannungsmoment, da die gesamte Geschichte des Films auf die Lösung dieses Momentes ausgerichtet ist.

Somit bildet die musikalische Bewegungslosigkeit einen Kontrast zur Musik vorangegangener Szenen. Die Fassungslosigkeit von Remo nach seiner Bluttat wird durch starre, flächige Sounds wiedergegeben (Stimmungen abbilden, Illustration). Der letzte Schnitt zum 'Black' wird durch einen tiefen Trommelsound verstärkt (Akzente setzen, Illustration).

Makroebene:
Damit die gewünschte überraschende Wirkung am Ende des Film erreicht werden kann, bedarf es einer Spannungssteigerung. Um diese Aufgabe zu erfüllen, ist eine geschickte Verflechtung von Bildausschnitt, Schnitttempo, Licht und Musik erforderlich. Als Remo die zerbrochene Glasscheibe hört, setzt Spannungsmusik ein, die in erster Linie das Aktivitätsniveau von Pulsschlag, Atemfrequenz und Aufmerksamkeit und Spannung stetig erhöhen soll (reale Stimmungen/Emotionen erzeugen).

Metaebene:
Die Bilder und Musik folgen zum Aufbau einer Spannung bestimmten ästhetischen Regeln; so scheint es wirksam zu sein die Lösung möglichst lang hinauszuzögern, um eine größtmögliche Erwartungshaltung beim Zuschauer zu erreichen und damit die Spannung auf die Spitze zu treiben. Die Musik folgt somit Hör- und Sehgewohnheiten (Hörgewohnheiten entsprechen, musikästhetischen Regeln folgen).

Szenenname: Abspann
Cue In: 00:16:19
Cue Out: 00:17:19
Dauer: 00:01:00

Beschreibung:
Im Abspann finden keine Filmhandlungen mehr statt, was dem Komponisten genug Raum gibt, sich musikalisch frei zu entfalten. Bei „Wölfe in B.“ gab es zwar keine musikalischen Vorgaben, außer dem Wunsch des Regisseurs das Hauptmotiv noch einmal erklingen zu lassen und die Grundstimmung des Films nicht zu zerstören.

Mikroebene:
Die Abspannmusik gibt den Texten einen einheitlichen Rahmen (Bilder zu einer Sinneinheit zusammenfassen).

Makroebene:
Abspanntext und Musik machen dem Zuschauer deutlich, dass die Filmhandlung abgeschlossen ist und der Film in absehbarer Zeit endet (Verständnis der Filmhandlung). Aufgrund des überraschenden Höhepunkts im Film, bietet die Dauer des Abspanns dem Zuschauer die Möglichkeit seine Eindrücke zu reflektieren, weitere Gedanken, Kritik oder Einsichten zu formulieren. (Erkenntnisgewinn ermöglichen).

Metaebene:
Für den Komponisten ist der Abspann interessant, weil er sich nicht an Bildinhalten oder Spannungsbögen orientieren muss. An dieser Stelle treten Eigenschaften in den Vordergrund, die weniger mit dem Film, sondern mit den Vorlieben des Komponisten zu tun haben.

Solche Eigenschaften sind hier: (1) eine emotionale Entlastung durch harmonische, 'angenehm klingende' Musik herbeizuführen, (2) die Musikalität des Komponisten zu präsentieren, da Musik hier im Vordergrund steht (3) und den Zuschauer auf den Alltag vorzubereiten, der nach dem Film folgt.

Fazit:

Die Analyse ist die erste praktische Anwendung des eigenen Modells an einem Film. Es wurde demonstriert, dass jeder Musikeinsatz gleichzeitig mehrere Funktionen erfüllt und die Bedeutungen der Ebenen dynamisch sind (siehe Mischpult). Ebenfalls hat die praktische Anwendung des Modells gezeigt, dass alle drei Mischpultregler gleichzeitig geöffnet sind, so dass immer drei „Signale“ mit unterschiedlichen Pegelständen gesendet werden.

Die Filmmusik zu „Wölfe in B.“ bestätigt weitestgehend die Konventionen bezüglich ihrer Funktionen. Sie dient im wesentlichen zur Abbildung und Erzeugung von Stimmungen und bestätigt musikästhetische Regeln und Hörgewohnheiten. Die Musikstimmungen sind eindeutig und tragen keine neue Inhalte in das Bild hinein – sie verstärken das im Bild bereits Sichtbare.

Jedoch hat es der Regisseur verstanden die Musik als effektives Mittel einzusetzen, um eine latente unaufdringliche Gefahr zu erzeugen, um so die Bedrohung durch die Patrouille enorm zu vergrößern, so dass das Filmende überraschend wirkt.

Im Laufe der Analyse wurde deutlich, dass Mikrofunktionen leicht zu benennen und konkret belegbar sind, während Makro- und Metafunktionen schwer zu beschreiben und schwer nachweisbar sind. Vor allem Metafunktionen sind komplexe gesellschaftliche Phänomene (z.B. Hörgewohnheiten, musikalischer Zeitgeist), die weitere Katalogisierungen und Erläuterungen erfordern und im Rahmen dieser Arbeit nicht gewährleistet werden können.

Rückblickend hätte unterschieden werden können zwischen solchen Funktionen, welche bewusst von Produzent, Regisseur und Komponist entschieden wurden (z.B. Schnitte kaschieren, Ort der Handlung charakterisieren) und solchen Funktionen, welche musikimmanent sind (z.B. Stimmungen abbilden).

Mit Blick auf die drei Ebenen lässt sich ebenfalls feststellen, dass Metafunktionen wie Folien hinter dem Filmkunstwerk liegen, weil sie für die gesamte Dauer des Films eine mehr oder weniger wichtige Rolle spielen (z.B. Abgrenzung von der Realität), während Mikrofunktionen wechselhaft und kurzlebig sind (z.B. Akzente setzen).

So entsteht bei der Analyse der Eindruck, dass Metafunktionen von Szene zu Szene genauso wechselhaft sind wie die Mikro- und Makrofunktionen – was jedoch nicht der Fall ist. Metafunktionen lassen sich weniger auf den einzelnen Musikeinsatz anwenden, sondern gelten eher für die Gesamtheit der Musikeinsätze. Es wurden bei der Analyse lediglich Akzentuierungen vorgenommen.

Einschränkend lässt sich sagen, dass Funktionsmodelle immer nur auf Wirkabsichten verweisen, sie bleiben trotzdem abstrakt, da sie die tatsächlich erlebten Wirkungen außer Acht lassen. Ob die Funktionen tatsächlich von dem Publikum bewusst oder unbewusst wahrgenommen werden, ist Aufgabe der Rezeptionsforschung.

Deshalb kann und muss es immer das Ziel sein die Modelle empirisch zu untersuchen, um so die Funktionen zu bestätigen, zu relativieren, zu verwerfen oder sogar zu entdecken.

Schlussbetrachtung:

Mit der Arbeit habe ich aufgezeigt, welche Modelle zur Beschreibung der Funktionen von Filmmusik seit den 1930ger Jahren entwickelt wurden. Auf der Grundlage dieser Beschreibungen, habe ich ein eigenes Modell entworfen, das neue Aspekte zur Erläuterung der Funktionen integriert.

Die Entwicklung eines neuen Modells war zu Beginn der Konzeption dieser Arbeit nicht vorgesehen, doch im Laufe der Beschäftigung mit Filmmusik wuchs in mir das Bedürfnis ein Schema zu entwickeln, das es erlaubt, die Funktionen in ihrer Mehrdimensionalität zu erfassen und zu beschreiben. Im zweiten Teil habe ich den Versuch unternommen das eigene Modell auf die eigene Filmmusik anzuwenden.

Die Diskussion um die Beschreibung der Funktionen ist keinesfalls abgeschlossen, da mit der weiteren Entwicklung des Films und des Filmsounds auch Veränderungen im Umgang mit Musik stattfinden. Es ist wahrscheinlich, dass Sounddesign, das bei meiner Analyse ausgelassen wurde, in Zukunft als integraler Bestandteil der Filmmusik betrachtet und nicht (wie es heute noch üblich ist) als eigenständiger Bereich des Filmtons behandelt wird (siehe Jörg Uwe Lensing, 2006).

Der kreative Umgang mit Geräuschen als dramaturgisches Mittel könnte als Element der Filmmusik eine höhere Bedeutung erfahren, was die Wissenschaft wiederum zu neuen Methoden und Katalogisierungen herausfordern würde.

Es gibt viele Filme, die das künstlerische Potential von Musik und Geräuschen nutzen konnten wie: „The Matrix“, „Apocalypse Now“, „The Sixth Sense“, „Barton Fink“, „2001 - Odyssee im Weltraum“, „Die Vögel“. Im Verhältnis zur Anzahl produzierter Filme wird jedoch deutlich, dass Filmschaffende dieses Potential leider verkümmern lassen.

Das zeigt sich daran, dass Musik in Filmen überproportional oft eingesetzt wird, mit der Hoffnung aus jeder Szene den größtmöglichen Ausdruck raus zu holen. Die Funktion der Musik beschränkt sich dabei oft auf die Illustration, die nichts weiter ist, als die pure Verdopplung der Bilder.

Filmmusik 'kleistert' den Film zu und verspielt damit die Chancen die Musik bietet, um neue Inhalte in das Filmbild hinein zu tragen, Bilder akustisch zu ergänzen oder die Möglichkeit die totale Stille als dramaturgisches Mittel zu verwenden.

Die kreativen Möglichkeiten der Musik können und müssen erlernt werden, sofern sie über die Emotionalisierung und Illustration hinausgehen sollen. Aber nicht nur auf der Seite der Filmschaffenden ist musikästhetische Bildung angebracht (vor allem in Deutschland), auch das Publikum braucht gleichermaßen eine filmästhetische Erziehung während der Schul- und Studienzeit, damit differenzierte Bild-Ton-Zuordnungen und deren Funktionen von jedermann erkannt werden können.

Der Stellenwert der Filmmusik würde sich bei den Zuschauern und Produzenten ändern wenn erstens: die Möglichkeiten im Umgang mit Musik beim Verfassen des Drehbuches verstärkt einbezogen werden und zweitens: das Publikum durch filmästhetische Bildung in der Lage ist Funktionen und Bedeutungen zu erkennen. Vielleicht wird dann Filmmusik endlich gehört...

Im nächsten Kapitel
Literatur- und Quellenverzeichnis